Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebrochen wird, gerät nur umso tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen.
Adorno/Horkheimer
Die Natur hält für den Menschen allerlei Zwänge und Gefahren bereit. Das fängt schon mit dem eigenen menschlichen Körper an, der stets nach genügend Flüssigkeit und Nahrung verlangt und zugleich gegen Kälte, Krankheiten und (Natur-)Katastrophen geschützt werden muss. So bilden sich gesellschaftliche Naturverhältnisse heraus, die immer mehr versuchen die Natur zu kontrollieren und zu manipulieren, so dass sie durch den Menschen beherrschbar wird. Und so kommt es, dass wir, je mehr wir versuchen uns durch Technik von Natur frei zu machen, desto abhängiger von ihr werden.
Je weiter die Automatisierung voranschreitet, desto abhängiger machen wir uns von Technik. Zusätzlich zur Zwangsjacke der Natur streifen wir uns noch eine
Zwangsjacke der Natur
über. Technik hat uns und unser Handeln damit immer mehr im Griff - bis zu dem Punkt, an dem unser Handeln nur noch der Technik dient. Bereits heute hat all das, was das Internet ausmacht den weltweit drittgrößten Energieverbrauch nach China und den USA. Mit der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung der Industrie wird dieser Energieverbrauch noch weiter wachsen, da ja zukünftig jede Schraube einen Sensor trägt, der ans Internet angeschlossen werden soll, um zu funken, dass sie locker ist.
Durch die gegenwärtige Spezialisierung in der Landwirtschaft werden zwar Stoffkreisläufe gebrochen, erst pro Betrieb, nach und nach in ganzen Regionen und inzwischen auf globaler Ebene, aber die
Zwangsjacke der Natur
bricht man nicht. Das Ergebnis ist ein Mangel an Nährstoffen auf den Feldern, der durch Mineraldünger, einer endlichen Ressource, ausgeglichen wird. Während gleichzeitig ganze Landstriche in Niedersachsen durch die Schweinezucht für den Weltmarkt wortwörtlich von nährstoffreicher Gülle überschwemmt werden, die die Trinkwasserversorgung mit einem der höchsten Werte an Nitrat innerhalb der EU gefährdet.
Autos sind keine einfachen Maschinen mehr. Je weniger wir mit einer solch massiven Technik auf die Natur einwirken wollen, z.B. Luftreinhaltung, oder je mehr wir uns von der Natur abkapseln wollen, z.B. Innenraumtemperatur, desto mehr Naturverbrauch und Naturwissenschaft/-manipulation ist letztlich nötig. In beiden Fällen braucht es komplett neue Stoffkreisläufe, die wiederum Eingangsprodukte benötigen und Ausgangsprodukte zur Folge haben. Der Ressourcenverbrauch steigt damit oder wird verschoben, aber in beiden Fällen wird die
Zwangsjacke der Natur
nur fester geschnürt statt sie zu lockern.
Der massive Einsatz von Erdöl in jeglichem menschlichen Tätigkeitsfeld lässt uns die
Zwangsjacke der Natur
für wenige Augenblicke vergessen, wenn wir zum scharfen Sehen unsere Brille aufsetzen, unseren Herzen mit Schrittmachern auf die Sprünge helfen, uns Flügel für einen Langstreckenflug nach Bali wachsen oder wir mal eben mit 230 km/h zum Bäcker um die Ecke brettern. Was für einen Moment als freie Fahrt für von der Natur befreite Bürger daherkommt, zieht uns nur noch mehr in den Naturzwang hinein, denn für all das muss eine riesige, weltumspannende Infrastruktur betrieben werden, deren Folgen längst weder zu begreifen noch zu beherrschen sind.
Unterkünfte bieten einen gewissen Schutz vor Sonne, Wind, Kälte, Regen und wilden Tieren. Manche Wohnungen bieten darüber hinaus noch andere Annehmlichkeiten wie fließendes Wasser, eine gute Verkehrsanbindung, schnelles Internet oder Strom. Allein für die Stromversorgung in Berlin müssen wir es hinnehmen, dass die
Zwangsjacke der Natur
für jeden Menschen fester geschnürt wird, denn nur durch den Aufbau, Betrieb und Unterhalt eines 35.088 km langen Stromleitungsnetzes mit 79 Umspannwerken, etwa 11.000 Transformatorenstationen und gut 16.700 Kabelverteilerschränke ist es möglich, das scheinbare Grundbedürfnis nach Strom aller Menschen in Berlin zu stillen. Für das echte Grundbedürfnis nach Wasser ist ein 7.816 km langes Wasserleitungsnetz mit 69.300 Hydranten nötig.