Überdem ist die Ungleichheit der Menschen von Natur nicht so groß, als sie durch die Erziehung wird.
Johann Gottfried Herder
Die verschiedenen Menschenrechtserklärungen wie auch das deutsche Grundgesetz legen mit leichten Nuancen fest: “Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.” (UN-Menschenrechtscharta). Und dennoch gibt es eine große Ungleichheit zwischen den Menschen. Je nach Geschlecht, Klasse, Ethnie, Einkommen, Vermögen, Alter, Religion, Elternhaus, Bildungsgrad, Sexualität, Reputation, Gesundheit und vielem anderem erwachsen aus dieser Ungleichheit starke Vor- und Nachteile. Menschen werden also gleich geboren - auch wenn die Umstände der Geburt bereits äußerst unterschiedlich sind - aber durch Sozialisation werden die Menschen ungleich gemacht: Bis zu welchem Grad wollen wir als Gesellschaft diese Ungleichheit mittragen?
Innerhalb von Städten kommt es zunehmend zu einer Spreizung, die viele orientierungslos und verarmt zurücklässt und Unerwünschte an die Ränder einer Stadt drängt. Ganz praktisch findet es bereits überall dort statt, wo kostenlose Sitzmöglichkeiten im öffentlichen Raum abgebaut werden und private Cafés ihre Bestuhlung nach draußen stellen - Platz nehmen nur gegen Bezahlung. Die
Schere der Ungleichheit
zerschneidet gewachsene Strukturen und sorgt zugleich für eine perfide Ordnung der Sauberkeit: Alle Reichen, Schönen, Guten, Kreativen, Engagierten, Weißen, Deutschen auf der einen Seite und alle anderen auf der anderen Seite.
Der Fokus auf einen motorisierten Individualverkehr verlangt von jedem Individuum selbst für seine Mobilität zu sorgen. Gemeinschaftliche Mobilität und Mobilitätsgerechtigkeit rücken damit vollkommen aus dem Blick. Wenn nun immer weniger Menschen Busse und Bahnen nutzen, dann beschneidet die
Schere der Ungleichheit
aus “rein ökonomischen” Gründen die Taktzeiten, Haltestellen und Fahrlinien - bis zu dem Punkt, an dem ganze Regionen von einer öffentlichen Mobilität abgeschnitten werden und jeder Mensch mit seinem eigenen Auto fahren muss, wenn er denn eins hat.
Wir haben uns an volle variantenreich bestückte Obst- und Gemüsetheken zu jeder Jahreszeit, Fleisch und Milchprodukte in 100m langen Kühltheken und eine volle Auswahl beim Bäcker kurz vor Ladenschluss gewöhnt. Doch diese imperiale Lebensweise im globalen Norden ist nicht verallgemeinerbar für alle Menschen - stattdessen genießen wir diesen Reichtum auf Kosten derer, die schon heute die Folgen dieser Lebensweise ertragen ohne selbst daran teilzuhaben: die
Schere der Ungleichheit
ist weit geöffnet und spreizt sich auch im globalen Norden immer weiter.