Perfekt organisiert, in einer beeindruckenden Choreografie von Verkehrsmitteln, Sicherheitskräften, Würstchengrills, Zapfanlagen und ein paar durchtrainierten Menschen in Trikots findet Fußball an fast jedem Wochentag statt. Sport, Kultur, Identitätsstiftung, Wirtschaftszweig und Staatsakt vermischen sich zu einer emotionsgeladenen Melange. Vielleicht gewähren uns die Werkzeuge ein paar interessante Einblicke.
Das Runde muss ins Eckige - soweit die Grundregel des Fußballs. Doch Fußball ist längst kein einfaches Spiel mehr zum Spaß und zur Freude aller aktiv Spielenden und passiv Zuschauenden. Die stets fortschreitende Kommerzialisierung führt zugleich zu einer umfassenden Technisierung. Torlinientechnik und Videobeweis sind noch auf die höheren Spielklassen beschränkt, aber auch schon in den unteren Klassen werden mit naturwissenschaftlich-technischen Methoden die Trainingswerte der einzelnen Spieler_innen ebenso optimiert wie ihre Laufwege. Um überhaupt mithalten zu können, spritzen sich einzelne Spieler_innen Schmerzmittel gegen die mittlerweile chronischen Schmerzen, während viele andere vor ihren Fernsehern sitzen und sich nicht genügend bewegen. Damit diese ganze Maschinerie überhaupt reibungslos läuft, engagieren sich unzählige Menschen ehrenamtlich als Platz- und Zeugwarte, Jugendtrainer_innen, Schiedsrichter_innen, Spielansetzer_innen und in den verschiedenen Ausschüssen auf Kreis-, Landes- und Bundesebene. Die
zeigt, dass einzig in dieser demokratischen Grundverfassung die Hoffnung auf eine andere Zukunft des Fußballs liegt.
Ein spielerisches Kräftemessen aus Spaß an der Freude findet im Fußball allenfalls noch im Freizeitbereich auf den Bolzplätzen statt. Im Vereinssport gibt es bis in die unteren Spielklassen einen harten Kampf darüber, wer auf welcher Sprosse der
steht - hierfür werden die Finanzkraft, die Trainingsintensität, die Laufleistung, die physio- und psychotherapeutische Betreuung etc. kontinuierlich gesteigert.
Der FC Bayern nimmt pro Saison etwa 90 Millionen Euro durch Merchandise wie Wimpel, Handtücher, Krawatten, Schlüsselanhänger, Schnuller und Bettwäsche ein. Auf Platz Nummer 1 der
Liste steht unangefochten das aktuelle Trikot. Bereits zu Beginn einer Saison vermittelt es einem das Gefühl, dass man bereits jetzt ein Meistertrikot trägt und man Teil der Erfolgsgeschichte des eigenen Vereins ist. Ganz anders sieht es mit den 17 Verlierern der Bundesliga aus, die es nicht auf Platz 1 geschafft haben - durch Trikots und anderen Merchandise kommen sie insgesamt nur auf Einnahmen in Höhe von 100 Millionen - da helfen nur Frustkauf und Frustessen.
Einst kämpften im Fußball Spieler_innen um das Leder. Nach einem harten Zweikampf flogen Grasklumpen durch die Luft und mit jeder Spielminute wurden die Baumwollleibchen schmutziger. Heute knallt die mit Polyurethan beschichtete Kunststoffkugel nicht mehr gegen Holzlatten, sondern gegen Aluminium. Einzig der Rasen scheint das letzte natürliche Element im Fußball zu sein - doch auch hier setzen sich Hybridrasen und Kunststoffrasen immer mehr durch und werden als Sondermüll selbst die
überdauern - survival of the fittest eben. Und dies alles, damit bei einem Zweikampf allenfalls ein paar Körner Plastikgranulat durch die Luft fliegen und so die Polyestertrikots mit ihren Werbebannern klinisch rein bleiben.
Am 30. Juli 1955 beschließt der DFB einstimmig auf seinem jährlichen Bundestag “...unseren Vereinen nicht zu gestatten, Damenfußball-Abteilungen zu gründen oder Damenfußball-Abteilungen bei sich aufzunehmen, unseren Vereinen zu verbieten, soweit sie im Besitz eigener Plätze sind, diese für Damenfußballspiele zur Verfügung zu stellen, unseren Schieds- und Linienrichtern zu untersagen, Damenfußballspiele zu leiten ... diese Kampfsportart [ist] der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd … Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.” Der DFB hebt das Frauenfußballverbot auf seinem Bundestag 1970 auf und stutzt damit ein klein wenig den
.
Vereins-Bosse, millionenschwere Club-Eigentümer und Sponsoren, milliardenteure TV-Übertragungsrechte sowie die Spitzen von FIFA, UEFA und DFB bringen ihr ganzes
in den Fußball ein. Zahlenmäßig sind sie den Fans, den ehrenamtlichen Jugend-Trainer_innen, Platzbetreuer_innen, den Spieler_innen von kleinen Vereinen und den Menschen, die für das Sonntagsspiel im Dorf Kuchen backen und den Verkaufserlös spenden weit unterlegen. Dennoch sind es die Ersteren, die ihre Anforderungen durchsetzen, während Letztere oft das Nachsehen haben - aber zumindest artikulieren die Fans der Bundesliga vermehrt ihren Protest gegen Montagsspiele, englische Wochen, Kommerzialisierung etc.
Der Profifußball ist längst keine einfache Sport- und Spielart mehr. Profifußball wurde mit
ausgebaut, in der es vorrangig um materielle wie auch immaterielle Vermögens-/Marken-/Spieler-/...werte geht. Ganz wie bei einer Maschine wird im Profifußball alles geregelt und gesteuert: der Stadionbau in der hintersten Ecke eines Landes, die exklusive Berichterstattung durch die vereinseigenen TV-Sender statt durch eine freie Presse sowie die Laktatwerte der Spieler_innen und ihre Kontakte mit den Fans.
Im Profifußball steigen die Gehälter und Ablösesummen immer weiter an und übersteigen so oftmals die laufenden Einnahmen der Vereine. Ermöglicht wird dies durch die Möglichkeit der Aufnahme von immer weiteren Schulden oder durch das Privatvermögen von finanzstarken Mäzenen. Das Financial Fairplay innerhalb der UEFA soll dieser Entwicklung Einhalt gebieten. Das Regelwerk wird aber weithin als gescheitert angesehen, da es einen
festlegt, der die kleinen, finanzschwachen Vereine benachteiligt und die großen, finanzstarken Vereine bevorzugt. Und wie die Football Leaks von 2018 zeigen, werden für Manchester City und Paris St. Germain obendrein auch noch rückwirkend Ausnahmen ermöglicht.
Im Profifußball werden längst nicht mehr nur die Tore gezählt und die zweimal 45 Minuten Spielzeit abgemessen. Bis ins kleinste Detail wird mittlerweile jede Bewegung auf dem Spielfeld aufgezeichnet, gemessen und gesteuert - auch außerhalb des Spielfelds wird alles von der Ernährung bis zu den Blutwerten akribisch normiert, bewertet und kontrolliert. Was aus den Profis noch den letzten Profit rausholt, findet sich längst als smarte
auch an unseren Handgelenken. Die stete (Selbst-)Optimierung der Arbeitswelt regiert nun auch im Privatleben, so dass sich das Quantified-Self restlos durchtaktet, um auch noch die letzte Performancesteigerung aus einem selbst herauszuholen - bis zur Übertaktung...
"Fußball ist unser Leben - denn König Fußball regiert die Welt. - Wir kämpfen und geben alles - bis dann ein Tor nach dem andern fällt." - 1974 war es nur ein Lied, das aber immer mehr zur Realität wird. Passives Fußball schauen wird als absolutistischer,
installiert: An sieben Tagen in der Woche flackert es auf den Bildschirmen, während immer weniger Menschen selber Fußball spielen oder ihre kleinen Dorfvereine unterstützen. Zugleich werden die anderen Sportarten an den Rand gedrängt, wie auch jegliche andere gesellschaftliche Tätigkeit. So muss zum Beispiel ein gut angenommenes, gepflegtes und mehrfach ausgezeichnetes Urban Gardening Projekt in Berlin-Wedding einer weiteren Fußballakademie für Nachwuchstalente weichen.